Lebe: Leun entdecken-besuchen-erleben

Mit elf Teilnehmerinnen und Teilnehmern besuchten wir diesmal die Stadtteile Stockhausen, Biskirchen und Bissenberg.  Los ging es am Bahnhof in Stockhausen. Diesmal informierte uns Gerd Mathes über die Entstehungsgeschichte des 1863 eröffneten Bahnhofes. Der Transport des in Leun und Umgebung gewonnenen Eisenerzes erfolgte bis dahin vorrangig mit Lahnschiffen. Nun löste die Bahn dieses Transportmittel ab. Später wuchs auch die Bedeutung des Personenverkehrs für Berufstätige und Schüler. Seit 1922 führte eine Nebenstrecke von Stockhausen nach Beilstein, der sog. „Balkan-Express“.

Interessiert nahmen wir die Lahnhäfen in Höhe von Tiefenbach in Augenschein und stellten uns anhand von Bildern den regen Güterverkehr an den beiden Ortschaften vor.

Weiter ging es durch die Lahnwiesen nach Biskirchen zum Treffpunkt „Bischofskirche“. Matthias Diehl vom Heimatkundlichen Arbeitskreis Biskirchen brachte uns den Standort und die Wirkungsgeschichte dieses Platzes u. a. mit Hilfe alter Zeichnungen anschaulich näher. Einst vor über 1000 Jahren in der Nähe der Lahn gebaut, musste die Kirche wegen wiederkehrender Hochwassergefahr im Jahr 1871 aufgegeben werden. Heute erinnert das Denkmal im alten Friedhof an die Bischofskirche und an Pfarrer Wetz, der sich im letzten Jahrhundert für das Gemeindeleben und die Entwicklung von Biskirchen mit seiner Quelle verdient gemacht hat. Eine Sammlung von Grenzsteinen der Grenzen des Königreichs Preußen(KRP) und Herzogtums Nassau (HN) erinnern an das damalige so genannte “Ausland von Biskirchen“ nach Westen hin in Richtung Löhnberg.

Naheliegend war die nächste Station Getrudisbrunnen, benannt nach der Tochter der Hl. Elisabeth, Klostervorsteherin des Klosters Altenberg. Peter Hardt und das Team der Interessengemeinschaft Gertrudisbrunnen Biskirchen e.V. (IB) ließen uns tief eintauchen in die Geschichte des Getrudisbrunnens, der schon im Mittelalter genutzt wurde und 1601 erstmals schriftlich erwähnt ist. Noch immer ist der „Born“ ein beliebter Treffpunkt für die Bewohner des Ortes.

Der Plan, die Heilkraft des Brunnens gewerblich zu nutzen, begeisterte manche Gemüter und beflügelte die Phantasie vieler Menschen in Biskirchen. Die Quelle wurde im Laufe der Jahrhunderte mehrfach verpachtet. Das Wasser wurde sogar nach Amerika verbracht. (Daher wohl der Hit von Bruce Springsteen „BORN in the USA“)

Seit 1991 steht das Brunnengebäude unter Denkmalschutz und ist heute Eigentum der Stadt Leun.

Der Interessengemeinschaft Gertrudisbrunnen (IB) ist es schließlich zu verdanken, dass das Wahrzeichen von Biskirchen in der Stadt Leun erhalten blieb und die Bürger auch heute noch kostenlos Wasser zapfen können.

Auf Betreiben der IB wird der Ausbau und Erhalt des  Brunnenhäuschens durch das LEADER-Programm gefördert werden. Zurzeit wird eine Hochstufung des Brunnens innerhalb des GEO-Parks zum GEO-Punkt angestrebt. Damit würde die Stadt Leun mit dem Stadtteil Biskirchen eine weitere touristische und kulturelle Attraktion erhalten.  (weitere Informationen: https://heilquelle-biskirchen.jimdofree.com)

Die Radtour führte uns weiter über die „Hollergewann“. Dieses Gewerbegebiet der Stadt Leun bietet Flächen für produzierendes Gewerbe. Ulrich Heberling erklärte uns als Stadtverordneter die momentane Situation, besonders bezüglich des letzten Erwerbers, der seine Verwaltung und eine Produktionsstätte für Betonfertigteile auf dem erworbenen Gelände errichten will.

Er wies auf Irritationen hin, die bei der Mehrzahl der Stadtverordneten entstanden sind, nachdem der Käufer die Fläche weiter aufgefüllt hat. Davon sei bei der Zustimmung zum Grundstückskaufvertrag im November 2019 nichts bekannt gewesen. Man sei bei den Beratungen davon ausgegangen, dass die Bebaubarkeit der Fläche durch Terrassierung erreicht werden solle. Eine Rückfrage der SPD-Fraktion an den Bürgermeister nach dem Abladen der ersten Mengen Anfang Juli ergab keine befriedigende Antwort.

Mittlerweile wurde durch Anlieger ein Baustopp erreicht. Der Erwerber musste nun für die Aufschüttung einen Bauantrag stellen, was er auch tat. In der letzten Stadtverordnetenversammlung wurde über diese Situation in aller Öffentlichkeit diskutiert und ein Antrag der SPD „Einspruch gegen das vom Magistrat beschlossene Einvernehmen bezüglich dem Bauantrag Erdaufschüttungen“ erhielt eine Mehrheit. Das weitere Vorgehen wird die SPD in den nächsten Wochen kritisch begleiten.

Weiter ging es dann auf dem Radweg Richtung Outdoorcenter an die Grenze der Stadt zu Greifenstein. Am Bissenberger Bahnhof wurde halt gemacht. Hier erläuterte Michael Hofmann kurz die Geschichte um den Haltepunkt Bissenberg, so die offizielle Bezeichnung.  Über die Ulmtalbahn (im Volksmund „Balkanexpress“ genannt) wurde schon seit 1873 nachgedacht. Erst 1913 wurde beschlossen eine Bahn von Stockhausen bis Driedorf zu bauen, da man die reichen Rohstoffvorkommen (Erz, Ton, Basalt und Holz) abtransportieren wollte. Letztlich wurden die ersten Vorarbeiten zwei Jahre später getätigt und der erste Abschnitt bis Allendorf wurde 1921 eröffnet. Der Plan, den Haltepunkt Bissenberg zum Bahnhof auszubauen, wurde aufgegeben, da die meisten Bissenberger mit der gleichen Wegstrecke zum Bahnhof Stockhausen kamen und so auch noch günstiger fuhren. Daher wurde das Gebäude in den Vierziger Jahren geschlossen und nach dem 2. Weltkrieg abgerissen, da hier Landstreicher und „unerwünschtes Volk“ Unterschlupf fand.

Informationen zur Geschichte der Grube Viktor, veranschaulicht durch alte Fotos, gab anschließend Rolf Georg. Sie eröffneten uns einen völlig neuen Blick auf die damalige Arbeitswelt in dieser ländlichen Umgebung. Die Grube gab vielen Bergleuten aus Bissenberg und Umgebung Arbeit und Brot. Funde von Gezähe (bergmännische Werkzeuge) deuten darauf hin, dass hier bereits in früheren Jahrhunderten Bergbau betrieben wurde. Das Erz wurde damals wohl in nahen Hütten wie z.B. der „Bissenberger Hütte“ verschmolzen. Die Schürfrechte auf Eisenerz wurden 1850 an den Fürsten zu Solms-Braunfels verliehen.

Von 1896 bis 1924 wurde die Grube vom Standort bei Bissenberg in Nähe der heutigen Obstbaumanlage betrieben. Der Erztransport erfolgte mit Pferdefuhrwerken über Bissenberg zum Bahnhof Stockhausen.

1906 wurde die Grube Viktor an die Firma Krupp/Essen verkauft. Diese begann 1908 mit dem Vortrieb eines „Tiefen Stollen“ im Ulmtal (Standort am ehemaligen „Grubchen“).

Das Zechenhaus der alten Anlage bei Bissenberg wurde hierhin versetzt und nach Betriebsende 1924 an Bernhard Ambrosius aus Biskirchen verkauft, der es dort wieder aufbaute.

1915 nutzte man vorübergehend eine Feldbahn des Tiefbauunternehmers Weimar aus Gießen zum Erztransport nach Stockhausen.

Von 1906 bis 1924 sind stattliche 44.310 Tonnen Erz mit einem Eisengehalt von 39-43% gefördert worden.

In den Jahren 1937–1941 ging die Grube als „Vierjahresplan-Grube“ (Kriegsvorbereitung) nochmals in Betrieb. Es entstanden neue Gebäude, ein Zechenhaus, ein Maschinenhaus sowie die Ulmbachbrücke. Das Erz wurde nun per LKW nach Stockhausen gebracht. Nach Einstellung des Betriebes  wurde das Zechenhaus 1942 an den Bergmann Adolf Lorenz verkauft, der es in der Denkmalstraße in Stockhausen wiederaufbaute, später erweiterte und modernisierte.  Aus dem verbliebenen Maschinenhaus wurde später die Gaststätte „Zum Grubchen“; das Stollenmundloch musste einem Lagerraum für Getränke weichen.

Bissenberg Ortsmitte: Michael Hofmann begrüßte die Radler in Bissenberg am „Pavillon“. Hier, wo ein Ziegendenkmal in Erinnerung an die 700-Jahrfeier 2013 steht, erzählte er von den „Utznamen“ Bissenbergs. Dass der Ort als „Gaasekippel“ gilt, hat sicherlich nicht damit zu tun, dass es in alter Zeit viele Ziegen auf dem Berg gab, aber da Ziegen genügsamer als Kühe sind, konnten diese hier besser gedeihen. Auch der Begriff „Rälinge“ entstammt wohl einer alten Geschichte, nach der ein Auswärtiger auf die Frage, wer dort am Feuerwehrteich abends so einen Lärm mache. Der Angesprochene antwortete: „Die Rählinge“ Dass es sich hier aber gar nicht um Frösche (Rälinge) handelte, wie dieser dachte, sondern um die Dorfjugend, brachte den Bissenbergern den Spitznamen ein.

Freiheitslinde in Stockhausen: Hinweise von Rolf Georg zur Entstehung der „Freiheitslinde“ in Stockhausen rundeten die Fahrradtour ab. Zur Zeit der bürgerlichen Revolution von 1848 brachten Bauern und Bürger Forderungen zur Änderung der erdrückenden gesellschaftlichen Verhältnisse für die arbeitende Bevölkerung lautstark vor. Auch die Region des heutigen Lahn-Dill-Kreises war in Aufruhr. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, zog die Landbevölkerung, unterstützt von Bergleuten und Bürgern durch das Ulmtal, Bissenberg, Biskirchen,  Stockhausen und Leun vor die Tore des Braunfelser Schlosses.

Vom damaligen Fürsten Ferdinand forderten sie den Wegfall aller feudalen Abgaben, des fürstlichen alleinigen Bergbau- und Jagdrechts, der Nutzung der Bäche, Flüsse und Wälder durch alle und die Bürgermeisterwahl durch die Gemeindevertretungen sowie ein kommunales Vorschlagsrecht für Pfarrer und Lehrer.

Leider hat der Fürst zu Solms-Braunfels seine ursprünglichen Versprechungen nicht gehalten. Er ließ auf die Demonstranten schießen und der Müller Feuring aus Stockhausen erhielt mit anderen eine Gefängnisstrafe. Nach 6 Monaten verhalf ihm eine Ablösesumme zur Freiheit.

 Im Andenken an diese schwere Zeit wurde 1853 die Freiheitslinde am Ortsausgang von Stockhausen in Richtung Bissenberg von Einwohnern des Ortes  gepflanzt.

Sie erinnert uns heute noch daran, dass Demokratie und Freiheit keinesfalls selbstverständlich waren. Sie wurden damals hart erstritten, von einigen gar mit ihrem Leben bezahlt. Diese Werte garantieren uns jedoch heute ein Zusammenleben in Frieden, Wohlstand und gegenseitiger Achtung.

In tiefem Respekt vor den Leistungen der Bevölkerung, die demokratischen Fortschritt und die Industrialisierung in diese Region brachten, endete diese zweite beeindruckende Fahrradtour der SPD- Leun.

Die Veranstaltung ergab Anregungen für die aktuelle Kommunalpolitik in folgenden Punkten: Tourismusförderung (Radwegekonzept/Wasserwege/sanfter Lahntourismus), Unterstützung der Vereine (Ausbau von Geo-Punkten), Wirtschaftspolitik (Akquise Gewerbegebiet).

Wir sagen: „Mensch Leun! Unsere Stadt hat einiges zu bieten.“